Interview Jessica Bunjes zum Fachkräftemangel | „Das Nervenkostüm ist überall dünn“
Der Fachkräftemangel im Mediensektor spitzt sich deutschlandweit zu. Medienhäuser und Verlage müssen den Anforderungen der nachrückenden Generationen gerecht werde, um im Kandidatenmarkt attraktiv zu bleiben, erklärt Headhunterin Jessica Bunjes. Die Personalberaterin mit Spezialisierung auf Verlage und Medien stammt selbst aus der Medienbranche und erklärt im Interview mit DNV, worin die Ursachen für den Personalmangel im Mediensektor liegen – und wie die Unternehmen ihnen entgegenwirken können.
Frau Bunjes, wie bewerten Sie die aktuelle Marktsituation hinsichtlich des Fachkräftemangels in der Medien- und Verlagsbranche?
Es ist teilweise regelrecht verheerend. Und das Interessante ist, dass es sich
nicht nur auf Regionen oder auf ausgewählte Medienhäuser bezieht. Egal, ob Sie in München suchen, in Hamburg, Stade, in Aalen oder in Cuxhaven – die Lage ist nahezu überall gleich. Und es spielt auch gar keine Rolle mehr, ob beispielsweise ein Online-Redakteur gesucht wird, ein Head of Sales oder eine andere Head-of-Position, es ist überall schwierig.
Die Kandidaten bewerben sich kaum noch von allein. Das betrifft die kleinen Verlage ebenso wie die großen Medienhäuser. Früher haben die Unternehmen das Fenster geöffnet und rausgerufen: „Leiter Lesermarkt gesucht!“. Im Anschluss hatten sie direkt 40 Bewerbungen. Das geht heute nicht mehr.
Gibt es in den Verlagen und Medienunternehmen Bereiche, die vom Fachkräftemangel besonders betroffen sind?
Alle Bereiche sind betroffen. Ob nun ein Lokalredakteur in Prien gesucht wird, oder ein Sales Manager in Bonn – wenn die Unternehmen nicht bereit sind, sich flexibel und marktgerecht zu halten, haben sie überall dasselbe Problem. Um ein Beispiel zu nennen: Wer einen Sales Manager bei einem Fixum von 40.000 Euro brutto/anno sucht, der den Rest über Provision verdienen und dabei die höchstmögliche Erfahrung mitbringen soll, wird diese Stelle nicht besetzen.
Bei Redakteuren ist es genau dasselbe: Viele Unternehmen suchen einen Redakteur, der digital unterwegs ist, online arbeitet, sich gern mit Social Media befasst, der außerdem bereit ist, viele Tage vor Ort zu sein – inklusive Überstunden. Und das bei womöglich nur 25 Urlaubstagen und für 48.000 Euro brutto/anno – da gibt es kaum eine Chance, jemanden für die Position zu finden. Auch hier ist es deshalb wichtig, dass die Unternehmen Rat von Branchen-Experten und Personalberatern einholen, welche die Gehaltsstrukturen in den einzelnen Regionen kennen.
Worin liegen die Ursachen des Personalmangels im Mediensektor?
Zunächst einmal haben wir den demografischen Wandel. Das heißt: Es gibt grundsätzlich weniger Nachwuchskräfte. Und diese Nachwuchskräfte finden Medienunternehmen per se nicht mehr attraktiv. Man darf nicht vergessen: Medienunternehmen haben inzwischen auch einen gewissen Ruf und gelten nach außen hin oftmals als nicht besonders innovativ. Dazu kommt: Die jüngeren Generationen interessieren sich meist kaum für Print-Produkte oder Tageszeitungen, schon nicht als Leser. Und dann natürlich erst recht nicht als Mitarbeiter.
Bei den älteren Zielgruppen wurden damals zudem viele Einsparungen in der Medienbranche vorgenommen. Früher haben Redakteure vierzehn Gehälter bekommen. Dann wurde gespart, viele Unternehmen sind aus dem Tarifverband ausgestiegen, die Gehälter wurden gedrückt, die Etats gestrichen. Man hat sich damals ein Stück weit kaputt gespart, das heißt: Viele Menschen haben die Branche verlassen. Die wieder zurückzubekommen, ist natürlich ein großer Aufwand. Die Generationen von damals wären heute allerdings bereit, mit etwas niedrigeren Gehältern zu starten, weil sie auch früher bereits mit einem niedrigeren Gehalt gestartet sind. Die Jüngeren hingegen haben heutzutage vielleicht einen Bachelor, arbeiten im Anschluss ein Jahr als Werkstudent und starten mit einer Gehaltsvorstellung von 63.000 brutto/anno – was nur minimal übertrieben ist. Das sieht bei den Älteren anders aus. Aber natürlich hat kein Redakteur, der 30 Jahre im Dienst ist, Interesse daran, das gleiche Gehalt zu verdienen wie ein 24-Jähriger, der frisch von der Uni kommt.
Problematisch sind außerdem Anforderungsprofile, die keinen Sinn ergeben. Angenommen, es wird etwa ein Leiter Lesermarkt gesucht: Wenn sich ein Personaler damit befasst, der das Aufgabengebiet dieser Position überhaupt nicht kennt, schreibt er irgendein Anforderungsprofil, das zur Hälfte gar nicht passt. Wenn sich ein Kandidat sowas durchliest – der bewirbt sich darauf nicht. Andersherum werden sich bewerbende Kandidaten, die nicht alle Punkte erfüllen und nicht die absolute Expertise haben, trotz der Lage abgelehnt, ohne ihnen eine Chance zu geben. Weil die Unternehmen gar nicht einschätzen können: Wo kann man vielleicht etwas ändern oder anpassen? Diese Flexibilität zu haben, ist heute sehr wichtig.
Was können Medienhäuser Ihrer Ansicht nach also tun, um für Arbeitssuchende attraktiver zu werden?
Es fängt bei der Suche an. Die Profile müssen passgenauer gestaltet werden. Viele HR-Abteilungen sind damit komplett überfordert. Wenn sie 50 Kandidaten ansprechen – und sie müssen sie ansprechen – und davon 40 nicht auf die Stelle passen, fünf zu teuer sind und drei zu weit entfernt wohnen, dann kommen
sie einfach nicht weiter. Das heißt: Die Unternehmen brauchen in der aktuellen Lage jemanden, der den Markt kennt, der die richtigen Kandidaten anspricht und der das richtige Wording dafür findet. Das kann eine normale HR-Abteilung, die alles besetzen soll – von Redakteuren, über Lesermarkt und Sales Manager, bis hin zum Vertriebsleiter – nicht leisten.
Man muss außerdem nach den Soft Skills schauen: Wer passt wo rein? Bei einem Team aus zehn 22-Jährigen ergibt es keinen Sinn, dort einen 64 Jährigen reinzusetzen. Allerdings darf man auch nicht nur aufs Alter schauen und Vorurteile haben: Menschen im Alter von 59 werden nach wie vor abgelehnt, obwohl sie heutzutage noch zehn Jahre arbeiten müssen. Zudem sind 59-Jährige heute überhaupt nicht mit den 59-Jährigen von früher zu vergleichen. Es gibt kaum noch jemanden in dieser Altersgruppe, der nicht digital unterwegs ist. Was in den Medienhäusern nach wie vor schwierig ist, ist die Flexibilität. Gerade bei den jungen Kandidaten. Die können nicht alles können, das ist vollkommen klar. Aber die Unternehmen müssen den Mut haben, zu sagen: Den Weg gehen wir zusammen. Wir sehen, wie sich der- oder diejenige entwickeln kann. Dabei müssen außerdem die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Es gibt etwa Menschen, die ihren Hund zur Arbeit mitbringen müssen. Da muss man sich als Unternehmen überlegen: Kann man das? Oder bietet man stattdessen drei Tage Home Office an?
Was sind die besonderen Anforderungen der jüngeren Generationen?
Die nachwachsende Generation hat natürlich ganz andere Ansprüche. Weil sie es sich leisten kann. Früher hat es gereicht, jeden zweiten Freitag Home Office und freien Kaffee anzubieten. Heute muss man mit dieser Generation viel flexibler und viel moderner umgehen, um sie, wenn sie angeheuert haben, überhaupt halten zu können. Denn falsche Versprechungen führen schon in der Probezeit zu Kündigungen.
Die Generationen heute lassen sich nicht mehr nur über Gehalt bewegen. Es sind vielmehr die Gesamtkonditionen: Benefits, wie etwa ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, Home Office und mobiles Arbeiten – alle möglichen, individuell verhandelten Annehmlichkeiten. Was zudem wichtig ist und sich in der Medienbranche immer mehr durchsetzt: Wertschätzung. Gerade die Jüngeren wollen wahrgenommen werden, sich weiterbilden, Ansprechpartner haben. Das ist noch viel wichtiger als Gehalt. Aber auch die Älteren und Erfahrenen wollen sich nicht gängeln lassen. Die brauchen Gestaltungsspielraum, denn sie machen ihren Job seit vielen Jahren.
Wertschätzung ist also generell ein relevantes Thema. Wir haben hier einen ganzen Blumenstrauß von Erwartungen, Anforderungen und Wünschen auf der Kandidatenseite. Und dabei darf nicht vergessen werden, dass momentan ein Kandidatenmarkt herrscht. Selbst suchende Kandidaten bewerben sich teilweise nicht mehr, sondern warten, bis sie angesprochen werden.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes im Mediensektor ein?
Im Moment ist es wirklich gravierend. Der Druck bei den Unternehmen ist groß. Gerade im Medienbereich gibt es aktuell Herausforderungen wie die explodierenden Papier- und Energiepreise. Der Mindestlohn steigt, die Zustellgebühren sind insbesondere für Tageszeitungen kaum noch zu bezahlen. Bei den Verlagen explodiert also einerseits die Kostenseite, andererseits wollen Mitarbeiter auch ein höheres Gehaltsniveau haben, um ihre eigenen Kosten zu decken. Die Benzinpreise steigen ebenfalls – selbst die Menschen, die weite Strecken zur Arbeit fahren würden, können sich das auf Dauer gar nicht mehr erlauben.
Es ist ganz klar abzusehen, dass die Situation sich in jedem Falle noch verschärft. Und es gibt nur eine einzige Lösung: Die Unternehmen müssen begreifen, dass sie passgenau suchen und gleichzeitig Flexibilität an den Tag legen müssen. Das A und O ist, in diesen Besetzungsprozessen schnell zu sein – denn heutzutage zögern die Menschen beim Jobwechsel nicht mehr ein halbes Jahr, so wie früher. Das Nervenkostüm ist überall dünn und die Menschen sind sehr wechselbereit. Diejenigen, die eine Stelle antreten und in der Probezeit schon feststellen, dass es ihnen dort nicht gefällt, sind ganz schnell wieder weg. Unternehmen sollten bestenfalls viel Mühe, Zeit und Wertschätzung in bestehende Mitarbeiter investieren, um diese nicht zu verlieren. Dann muss man die Stelle nämlich nicht nachbesetzen.
Das Interview ist ein Auszug aus dem dnv Magazin 09/22.
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